Mainz – Der Wind bläst über den Rhein und fährt unter die dünnen Funktionshemden. Aus den tief hängenden Wolken löst sich immer wieder Regen und platscht zusammen mit Schweißtropfen auf die Knochensteine des Basketballfeldes.
Die rund 60 Sportler der Gruppe Draußensport Mainz lassen sich davon nicht beirren. Abwechselnd ziehen sie ein Knie nach oben, gehen in den Unterarm-Liegestütz und fordern ihre Bauchmuskeln mit Crunches. «Noch 30 Sekunden», ruft der Trainer über die Musik hinweg, die von seinem Smartphone kommt und aus einer kleinen mobilen Boxen schallt. Kollektiv beißt die Fitness-Gruppe die Zähne zusammen, einige schnaufen, andere stöhnen leise. Dann ist die Einheit geschafft – und die nächste folgt.
«Die Gruppe treibt einen an. Ich habe selber mehr Spaß am Sport, wenn die anderen auch Spaß haben», sagt der 29 Jahre alte Trainer, der nicht nur danebensteht, sondern selbst alle Übungen mitmacht. Die Gruppe ist die Stärke und das Markenzeichen von Draußensport Mainz – deswegen will der Trainer auch seinen Namen nicht nennen. Ohnehin gibt immer mal wieder jemand anderes im Team die Übungen vor. «Wir haben uns explizit gegen einen Verein oder eine kommerzielle Gruppe entschieden», sagt ein anderer.
Mit ihrer Lust am kollektiven Sporterlebnis, aber ohne die Verpflichtungen einer Teamsportart, ist die Gruppe am Rheinufer nicht alleine. Auch andere moderne Individualsportarten könnten die Rheinland-Pfälzer eigentlich alleine betreiben, treffen sich dafür aber doch in lockeren Gruppen: Mountainbiken und
Trailbike, das ist Herumspringen mit dem Rad; Slacklinen, also Balancieren auf einem Band; Bouldern, nämlich Klettern auf Absprunghöhe; oder Parkour, die elegante Art, sich im urbanen Raum fortzubewegen.
Einer der Traceure, also
Parkour-Läufer, in Mainz ist Thomas Hinrichs. «Die Gruppe ist wichtig, weil mehr Leute mehr spannende Hindernisse finden, wo man etwas machen kann», sagt er. Der 24-Jährige springt nicht nur über Bänke und klettert geschmeidig wie eine Katze Mauern hoch, sondern macht auch Saltos. «Dann fragt man die anderen: Könnt Ihr mal kurz aufpassen, dass ich mir nicht den Kopf an der Mauer anhaue?», sagt er.
Jemand, der zum ersten Mal vorbeischaut, und erfahrene Traceure wie Hindrichs trainieren stets zusammen. «Wir brauchen keine Halle, wir ziehen die Schuhe an und los», sagt der 17 Jahre alte Philipp Schnell. «Und wir müssen auch keine acht Leute fragen, damit die Mannschaft komplett ist.» Wettkampfdruck? Turniere? Jedes Wochenende ein Spiel? Kennen die Traceure nicht. «Aber es motiviert mich, zu kommen, wenn wir uns vorher schon via Whatsapp schreiben, welche Sprünge wir machen wollen», sagt Schnell.
Ähnliches hört man bei den Slacklinern. «Man braucht nur eine Line und zwei Bäume», sagt Florian Beyer. Wie die anderen Sportgruppen verabreden sich die Balancierer in Mainz oft über
Facebook- oder Whatsapp-Gruppen. «Bei uns ist es sportlich und gemütlich. Wir haben einen netten Abend zusammen und betätigen uns trotzdem», sagt Paul Derstheidt. Einen Verein haben sie nur gegründet, um Neulinge besser informieren zu können.
Insgesamt nimmt der Anteil der Menschen in Rheinland-Pfalz, die in einem Sportverein aktiv sind, seit Beginn der 2000er Jahre langsam ab. Vor allem Schüler und die 27- bis 40-Jährigen treten aus, wie aus den Zahlen des Landessportbundes hervorgeht. «Die neuen Sportarten sind Chancen für die Vereine – und die müssen sie ergreifen», sagt Hiltrud Gunnemann, Leiterin der Abteilung Sportentwicklung beim Landessportbund. Auch könnten Vereine Social Media nutzen und so die Mitglieder ans Training erinnern.
Ist also die Zeit vorbei, in der Sport zunehmend vereinzelt betrieben wurde, mit der Yoga-Matte auf der heimischen Terrasse oder dem Jogging-Licht auf dem Kopf? «Es gibt einen Trend, sich informell zusammenzuschließen, zum Beispiel auch, um an einem Marathon teilzunehmen», sagt Ansgar Thiel von der Universität Tübingen, der unter anderem zur Soziologie der Sportorganisation forscht. Aber er betont auch: «Der Verein ist nach wie vor der wichtigste Partner.» Mehr als 1,4 Millionen Mitglieder zählte der Landessportbund Rheinland-Pfalz im vergangenen Jahr.
Die Konkurrenz aber wird größer. Nicht nur Fitnessstudios erscheinen vielen Menschen als Alternative, es gibt auch spezielle Trend-Angebote wie Boulderhallen. «Der große Reiz bei uns ist: Man kann alleine klettern, ist frei in der Zeiteinteilung», sagt Ilijana Wilson, Gründerin von Blockwerk in Mainz. Während die Kletterer an den bunten Griffen unter Überhängen baumeln und in die weichen Matten fallen, kommen sie doch ins Gespräch. Viele neue Grüppchen formen sich, sagt Wilson. «Wir sind eine Kontaktbörse.»
Fürs Bouldern gilt das Gleiche wie für viele der neuen Sportarten: «Es geht nicht darum, der Beste zu sein», formuliert es Wilson. Statt eines Trainers, der Ziele vorgibt, geht es um persönliche Herausforderungen – der Sportler gegen sich selbst. «Die Kletter-Probleme kann man auf verschiedene Arten lösen», sagt sie. «Es gibt kein richtig und falsch.»
Fotocredits: Doreen Fiedler
(dpa)