Capoeira verbindet Kampf, Ästhetik und Akrobatik

Magdeburg – Mit einem Radschlag startet Daniel Ludwig in die Mitte des Kreises, wirbelt um die eigene Achse und deutet einen Tritt gegen den Kopf seines Gegners an. Dann bildet der 22-Jährige mit seinem Körper am Boden eine Art Brücke, um aus dieser Position kurz darauf erneut unvermittelt anzugreifen.

Rhythmisches Klatschen und laute Gesänge der im Kreis stehenden, weiß gekleideten Zuschauer treiben das Tempo des «Kampfes» immer weiter an.

Was sonst nur in schweißtreibenden Trainingseinheiten praktiziert wird, zeigen Ludwig und seine Freunde von
«Capoeira Unicar Magdeburg»bei einem brasilianischen Abend im Magdeburger Restaurant «Am Birnengarten» nun auch öffentlich: Capoeira – der brasilianische Sport, bei dem Kampfkunst, Akrobatik, Tanz und Musik ihren Anteil haben, gewinnt auch in Deutschland an Popularität.

«Ich mag am liebsten das Akrobatische: Springen und möglichst viele Tricks in der Luft machen – ich finde das einfach wunderschön», sagt Ludwig, der an der Universität Magdeburg studiert und seit zwei Jahren «Capoeira spielt», wie er es nennt.

Kern der physisch fordernden Kampfkunst ist das Zusammenspiel zweier Mitglieder der Gruppe in der «Roda», einem Kreis, den die anderen musizierenden und singenden Capoeiristas bilden. Im Training erlernte Tritte, Ausweichbewegungen, Täuschungsmanöver und Akrobatikkunststücke werden dort angewendet und bei konstantem Augenkontakt mit dem Partner frei improvisiert.

«Wenn außen herum alle Energie geben mit dem Klatschen und dem Gesang und dann noch ein Lied spielen, das du magst – dann macht’s wirklich Spaß in der Roda», sagt Ludwig, der mit der Capoeira die brasilianischen Wurzeln teilt.

«Ein Stückchen Heimat» bringe ihm der Sport, denn Capoeira bezieht sich auch in Deutschland stark auf kulturelle Traditionen in dem Ursprungsland. Die zunächst von afrikanischen Sklaven praktizierte und als verbotene Straßenkampftechnik fortgeführte Kampfkunst hat sich in Brasilien seit der Aufhebung des Verbots vor 80 Jahren zum Volkssport entwickelt.

Der ursprünglichen Form der Capoeira Angola setzte der berühmte Capoeira-Meister «Mestre Bimba» die modernere und schnellere Capoeira Regional gegenüber. Diese Formen werden heute zudem durch die noch freiere Capoeira Contemporânea ergänzt.

Heute sind die vielen, international organisierten Capoeiraclubs meist einem dieser Stile verschrieben und werden von einem Mestre – dem höchsten erreichbaren Rang – geführt. Seit etwa 30 Jahren werden auch in deutschen Clubs, Kampfsportschulen und Unisportkursen Capoeiristas ausgebildet.

Einen Bundesverband hat der Sport nicht. Ausbildung, Prüfungen und Graduierungen liegen in der Hand des Meisters des jeweiligen Clubs: «Bei uns signalisieren verschiedenfarbige Kordeln unser Aufstiegssystem, ähnlich wie die Gürtel beim Karate», sagt Martin Eschner, der die Magdeburger Capoeiristas trainiert und eine rote Kordel für die fünfte Stufe um seine weiße Capoeirahose trägt.

«Die Philosophie der Capoeira ist Ausweichen statt Blocken, fließende Bewegungen und aus einer unerwarteten Position wieder angreifen. Es ist mehr Kampfkunst als Kampfsport – viel verspielter», sagt Eschner, der in seinen Trainingseinheiten Körperkontrolle, Bewegungsfluss und kampfsportliche Elemente in den Fokus rückt. «Capoeira bietet die Möglichkeit, den persönlichen Stil, die ganz individuelle Mischung von Akrobatik, Kampf und Tanz zum Ausdruck zu bringen.»

Flickflacks, Salti und Räder, ästhetische Verrenkungen, Bodenfiguren aus dem Breakdance und die Tritte anderer Kampfsportarten: Beim Capoeira ist vieles erlaubt, doch essenziell bleibt für Eschner das Eingehen auf den Gegenüber. «Capoeira ist kein Soloprogramm, sondern bildet die Kommunikation zweier Menschen ab. Jede Bewegung ist eine Reaktion auf die Bewegung des anderen.»

Doch nicht nur das: Die Capoeiristas müssen auch ihr Spiel dem Tempo des Vorsängers der Roda anpassen, der den Takt mit dem Berimbau, einem Holzbogen-Saiteninstrument, schlägt. Zum Erlernen der Instrumente und der Texte besuchen die Magdeburger Capoeiristas sogar ein zusätzliches Training.

Für viele von ihnen ist der Sport auch eine Lebensphilosophie, die Gruppe wie eine Familie und die brasilianischen Lieder wichtiges Kulturgut – so auch für Vivian Zurawski. «Mein nächstes Ziel ist es, das Berimbau-Spielen mit dem Singen zu verbinden, da bin ich zwar nah dran, aber es hapert noch am Rhythmusgefühl», sagt die 26-jährige Studentin. «Doch Capoeira spielen ohne Musik? – Das macht für mich gar keinen Sinn.»

Fotocredits: Klaus-Dietmar Gabbert
(dpa)

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